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Kriegsende in Schaffhausen

 

Hans Herkes

 

Januar 1945 in Schaffhausen. Nur wenige Familien waren der Aufforderung der Behörde nicht nachgekommen, die Dörfer links der Saar zu verlassen. Es gab keine geordnete Evakuierung wie im September 1939.

Ein halbes Jahr hatten die Amerikaner seit der Landung in der Normandie gebraucht, bis sie die Grenze überschritten und die ersten deutschen Dörfer an der Saar besetzten. Für drei Wochen im Dezember sah es aus, als hätten wir es überstanden. Das war ein Irrtum. Der Krieg machte drei Monate Pause. Nicht so, als geschähe nichts. Es wurde geschossen, bombardiert, aber eben nur im Kleinen. Es ging nicht weiter. Die paar Familien, die im Umkreis der Pfarrerswohnung lebten, gewöhnten sich an den Zustand. Man ging zum Brunnen, um Wasser für Mensch und Tier zu schöpfen, wenn am Vormittag die Amerikaner im Nachbardorf Werbeln eine Schießpause einlegten. Für die Nacht suchte man Zuflucht im Luftschutzbunker unter den Garagen neben dem Haus eines Bauunternehmers. Zur Messe mit Pastor Rommelfanger kam man in dem Kellerraum zusammen, der zu anderer Zeit als Waschküche gedient hatte.

Dort hatte ich meinen ersten Latein- und Französischunterricht. Wir waren nicht viel mehr als ein halbes Dutzend Kinder im Schulalter. Seit Beginn der Ferien im Sommer 1944 hatten wir keine Schule mehr gesehen. Der Pastor bot unseren Eltern an, uns einige Male in der Woche zu unterrichten, damit wir nicht alles verlernten und auf sinnvolle Weise beschäftigt wären. Unser Schulsaal war die Waschküche, in der die Messe stattfand. Dort saßen wir an einem Holztisch, auf dem eine Fahrradkarbidlampe ein wenig Licht gab, und rechneten und lernten die ersten Französisch- und Lateinlektionen: le boeuf - der Ochs, la vache - die Kuh, ferme la porte - die Tür mach zu und: plenus venter non studet libenter - voller Bauch lernt nicht gern. Ich meine, wir lernten damals gern. Es war eine Abwechslung. Wir Kinder sahen uns sonst nicht. Jeder blieb im Haus bei seinen Eltern. Sich draußen aufzuhalten war gefährlich. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass die amerikanischen Kanoniere in Werbeln täglich im gleichen Rhythmus herüber schossen.

Eine andere Gefahr kam hinzu. Es hatte geschneit. Alles war blendend weiß. Dann folgten sonnenhelle Tage, ideales Wetter für die amerikanischen Jabos (Jagdbomber), die von deutscher Seite nichts zu befürchten hatten. Dass aus einer Gruppe von Häusern Rauch aus den Schornsteinen aufstieg, musste für die Piloten gut zu erkennen sein. Sie konnten nicht wissen, wer da unten das Feuer schürte, deutsche Soldaten oder zurückgebliebene Familien, die nichts mehr wünschten, als dass der Krieg vorbei wäre. Vielleicht interessierte es sie auch nicht.

Wir saßen beim Pastor am Tisch. Plötzlich das Heulen eines Jabos im Sturzflug und ein furchtbarer Knall. Das Haus erzitterte, die Kellertür flog auf, ein Luftstoß blies die Lampe aus. Einen Augenblick lang waren wir starr vor Schreck, dann liefen wir hinaus. Ein Nachbarhaus war von der Bombe getroffen worden und nur noch ein Trümmerhaufen. Der Pastor erbleichte. „Welches Haus ist das?" fragte er, und dann weiter zu mir gewandt: „In welchem Haus sind deine Eltern?" - „In dem daneben." Es war ihnen nichts passiert. Alle waren mit dem Schrecken davon gekommen. Frau L. fasste sich bald wieder und schimpfte - nicht auf den amerikanischen Piloten, der die Bombe aufs Nachbarhaus abgeworfen hatte, sondern mit ihrer Kuh: „Wegen dem Stück Vieh bin ich hier geblieben! Was soll ich denn noch aushalten?" Für diesen Tag waren wir mit unserem Latein am Ende.

 

Amerikanischer Jagdbomber P-47 Thunderbolt

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