Der Sägemüller von Werbeln
von Walter Henne
Nach alten Akten, nicht allein in einem Spiel der Phantasie, zeichnet Walter Henne in seiner ergötzlichen, volkstümlichen Art ein Gerichtsverfahren zwischen der Herrschaft Saarbrücken und Kloster Wadgassen. Es handelt sich um eine Bagatelle, eine gewöhnliche – sogenannte – „versoffene Geschichte“, die vier Jahre lang zu ihrer Erledigung benötigte. Die Arbeit unserer heutigen Berichte ist trotz ihrer Langwierigkeit dagegen das reinste Fixfeuer.
Im Grunde genommen ging es um mehr als um den Sägemüller. Immerhin fiel ihm im Dauerstreit zwischen der Saarbrücker Herrschaft und dem reichen Kloster eine nicht unwichtige Rolle zu. Und es wird sich lohnen, sich einige Augenblicke in unsere Vergangenheit zurückzuversetzen, wobei es gestattet sei, Wahrheit mit Dichtung zu verweben.
Wäre der Werbelner Sägemüller damals gleich nach der Abwicklung seiner Geschäfte nach Haus gegangen, hätte er sich verschiedene unangenehme Stunden, dem biederen Quillaume aus Ludweiler eine klaffende Kopfwunde erspart. So aber - -
Gewiß, es war recht warm. Und wenn man den ganzen Tag unterwegs war und nun endlich mit dem Förster ins reine gekommen ist, dann hat man sich redlich einen Schoppen kühlen Weines verdient. Ob es aber gerade nötig war, dem einen gleich verschiedene andere Schoppen nachzuschicken, vermag man so ohne weiteres nicht zu entscheiden. Jedenfalls schien das Bedürfnis vorhanden, und der Sägemüller war der letzte, der hierüber eingehendere Betrachtungen anstellte. „So jung kommen wir nicht mehr zusammen, Freund, drum Prost!“
Der also aufgeforderte Förster tat wacker Bescheid. Und wie das so geht: Die Tafelrunde mehrte sich. Darunter saß dann auch bald Abraham Quillaume aus Ludweiler, den ebenfalls besondere Geschäfte über Land geführt und damit einen anständigen Durst erzeugt hatten.
Das Gespräch ging hin und wieder. Man sprach über Ernte und Mißwachs. Von den Steuern wurde nicht gerade anerkennend geredet. Man kam auf die Herrschaft zu sprechen, die ja nicht wisse, wie dem armen Mann zumute sei. Und da war es nicht mehr weit bis zu jenem Thema: Wer hat Recht? Kloster Wadgassen oder Saarbrücken?
„He“, meckerte der Müller, „Eurem Fürsten hat das Wadgasser Kloster mächtig auf den Hut gehauen, was? So seht Ihr aus: Die Kohlen auf unserem Bann wollt Ihr graben, die Landstraßen sollen unsere Leute Euch in Ordnung halten, als ob sie sonst nichts zu tun hätten, Salz soll das Kloster nicht mehr verkaufen dürfen und den Tabak auch nicht, die Fähre hat der Saarbrücker weggenommen und, wenn die Klosterfischer ihrer Arbeit nachgehen, stört Ihr die auch noch. Das lassen die Wadgasser sich nicht gefallen. Das könnt ihr glauben. Die gehen bis zum Reichskammergericht, wenn es sein muß. Kümmert Ihr Euch um Euren Dreck. Wir Wadgasser haben nicht mit Euch zu tun, Wir sind selbstständig! Jawohl!!“
„Hm, da braucht Ihr Euch nicht gleich so aufzuregen“, meinte der biedere Quillaume. „Was habe ich damit zu tun, wenn sich die hohen Herren in den Haaren liegen. Eins will ich Euch aber sagen: So ganz unrecht haben unsere Leute vielleicht doch nicht. Und Wadgassen wird gut tun, sich schön friedlich zu verhalten. So ein reiches Kloster wird doch wohl imstande sein, die Straße ein bißchen in Ordnung zu halten. Ob Ihre ein paar Fische mehr oder weniger fangt, das macht Euch nicht arm.“
„So schaust Du aus“, erregte sich der Müller, „ha, fein gesprochen. Genau wie ein Saarbrücker Advokat. So, so. Fangt nur so an. Dann sind wir schnell fertig miteinander. Ich sag Euch, Wadgassen macht, was es will. Da wird es noch Euch fragen. Jawohl: Reich sind wir. Und gescheit auch. Mindestens so schlau und klug wie Euer gnädiger Herr und alle seine feinen Räte. Gaunerei ist´s, was die treiben, sonst nix.“
„Also, jetzt macht aber mal etwas zart“, mischte sich der Förster ein. „Beleidigungen der Herrschaft gibts nicht. Merkt Euch das beide. - Was ich noch sagen wollte: Wie ist denn sonst das Geschäft in Eurer Holzmühle?“
„Ah, sieh da, der Förster als Friedensengel!“, frozzelte der Sägemüller. „Steht Euch nicht schlecht an. Ich hätte nichts gesagt, wenn der da nicht angefangen hätte.“
„Was?“ schrie der Abraham, „ich soll begonnen haben? Jetzt schlage mir doch einer lang hin! Du, du Lumpensäckel, du hast angefangen mit der Schimpferei-“.
„Na, jetzt wird’s aber Tag“, brüllte der Müller zurück. „da hast du Quatschkopf meine Antwort!“ Und damit langte er dem ahnungslosen Quillaume mächtig eine herunter. Der nicht faul, sprang auf und gab dem Müller den Schlag zurück, daß es nur so rappelte, Und eins, zwei, drei entwickelte sich eine großartige Keilerei, wie man selten eine erlebte. Wenigstens versicherte dies später der Förster, so oft er auf dieses erhebende Schauspiel zu sprechen kam.
Mit einem Male quietschte der Quillaume, der im großen und ganzen die meiste Abreibung bezog, gehörig auf. Hatte doch der Müller mit einem Stein, den er irgendwo erwischt hatte, auf den Schädel gehauen, daß das Blut nur so floß. Im ersten Schreck gelang es dem Müller, der solcherlei Händel gewöhnt war, sich zu drücken.
Pflichtschuldigst erstattete der Förster seine Meldung. Den Täter kannte man. Und so war es denn nicht verwunderlich, daß schon anderntags ein Bote in Wadgassen erschien und vom Abt die Festnahme und Auslieferung des Übeltäters verlangte. Dessen weigerte sich der Abt und konnte sich einige hämische Bemerkungen nicht verkneifen.
Getreulich berichtete der Reiter in Saarbrücken, was ihm widerfahren ist, welche Mitteilungen wiederum zur Folge hatten, daß Fürst Wilhelm Heinrich sofort eine wichtige Staatskonferenz einberief, in der sich der Regierungschef und seine Räte einmütig auf den Standpunkt stellten: Jetzt oder nie, d. h. jetzt geht es den Wadgassern an den Kragen.
In aller Eile wurde eine Strafkolonne ausgerüstet, die sich schleunigst (noch net emol hammer kenne se Middag esse, stellte unterwegs mehrmals der Louis fest) nach Werbeln in Marsch setzte mit dem Auftrag, den Sägemüller, diesen „impertinenten Burschen“, wie sich der Fürst in seinem Zorn auszudrücken beliebten, lebendig oder tot nach Saarbrücken zu bringen.
Der Befehl wurde ausgeführt. Das Glück war den Saarbrückern hold. Denn der Müller hatte sich gerade zu seinem üblichen Mittagsschläfchen niedergelegt und schnarchte, als ob die Mühle in vollem Betrieb wäre. Flugs wurde die Mühle umstellt. Die Frage nach dem Müller war ob seines Gerankses unnötig und ehe dieser nur einigermaßen begriffen hatte, was los war, saß er auf einem Handpferd. Einige Rippenstöße ermunterten seinen Sinn vollends, so daß er ohne weitere Erklärungen wußte, was gespielt wurde.
Er gab sich so schnell nicht verloren. Und beim Ritt durch die nächste Ortschaft plärrte er laut um Hilfe. Ein wohlgezielter Faustschlag in das Gehege seiner Zähne ließ den Müller jedoch gleich wieder verstummen. Und als das Saarbrücker gebiert erreicht war, half letzten Endes auch kein so lautes Gebrüll etwas.
Am Spätnachmittag langte der Trupp in der Residenz an. Die Untersuchung war schnell erledigt. Das Urteil wurde gesprochen: 24 Stunden in den Turm mit dem Lümmel und Ersatz aller Unkosten des arg verbeulten und geschundenen Quillaume zuzüglich der Gerichtskosten.
Als der Müller wieder entlassen war und dem Abt Bericht erstattet hatte, berief nun der Abt seinen Klosterkonvent zusammen, der einige Tage hintereinander tagte und schließlich als Ergebnis seiner Beratungen eine Klage beim Reichskammergericht einreichte, in der neben mancherlei anderen Dingen auch beantragt wurde, daß sich Saarbrücken jeglicher Gewalttätigkeiten gegen Wadgasser Untertanen zu enthalten habe.
Kluge Kammerräte wälzten die Bände Wadgassen contra Nassau-Saarbrücken, Bände, die hinsichtlich ihrer Zahl und ihres Umfanges sich einer gewissen Berühmtheit in Wetzlar (wo das Gericht tagte) erfreuten. Denn schon immer lagen sich beide Nachbarn in den Haaren. Die Wälzerei und Beraterei nahm eines Tages ein Ende (so meinte wenigstens der damit beauftragte Geheime Rat) mit einem Bescheid vom 28. April 1755, der u. a. Dem Fürsten in Saarbrücken auferlegte, die Wadgasser Untertanen in Ruhe zu lassen.
Die fürstliche Regierung in Saarbrücken nahm dieses Urteil selbstverständlich nicht bierfriedlich hin, sondern häufte die Einwände zu einem stattlichen
Beschwerdestrauß zusammen. Sie begnügte sich auch nicht damit, dem Kammergericht in gehöriger Weise ihre Meinung zu sagen, sondern wandte sich an den Kaiser und die Reichsstände, sonderheit deswegen,
weil das Kammergericht sich reichlich ungehörig benommen habe und anscheinend nicht wisse, wie man mit einem Reichsfürsten umgeht. Denn Saarbrücken sei nicht vor Erlaß des Bescheides zu einem Bericht
aufgefordert worden. Dr. von Zwierlein, der fürstliche Anwalt, setzte dies alles in feinen und groben Worten, je nachdem er dies gut befand, auf.
Neues Papier wurde verschrieben. Gerichtsräte und Anwälte belehrten sich gegenseitig, daß sie von Rechtsprechung keine Ahnung hätten. Kurzum: Im Februar 56 wurde alles, was Saarbrücken vorgebracht
hatte, restlos verworfen. Und auf eine von Saarbrücken angemeldete Revision am 1. Juli sehr eindeutig geantwortet: Wadgassen habe recht und Saarbrücken müsse die Kosten zahlen; widrigenfalls von
Reichs wegen etwas nachgeholfen werde. Saarbrücken zog die Sache in die Länge bis in den Anfang des Jahres 1758. Als da aber das Erekutionsmandat wirklich erlassen wurde, gab Saarbrücken klein bei
und verglich sich am 10. Januar 1759 mit Wadgassen. Und mit Stolz vernahm der Müller, dessentwegen sich die hohe Justiz ebenfalls jahrelang bemühte, daß endgültig das Kloster die Gerichtsbarkeit
erster Instanz behielt und Verbrecher auf dem Klostergebiet nicht ohne Anzeige ergriffen werden durften. Allerdings, so hieß es, sollten diese auf Verlangen nach Saarbrücken ausgeliefert
werden.
Diese Geschichte ist dem Saarkalender Ausgabe 1934 entnommen.